S. Barton: Internment in Switzerland during the First World War

Cover
Titel
Internment in Switzerland during the First World War.


Autor(en)
Barton, Susan
Erschienen
London 2019: Bloomsbury
Anzahl Seiten
225 S.
Preis
£ 85.00
von
Tamara Cubito, Militärgeschichte, Militärakademie an der ETH Zürich

Internierung im Ersten Weltkrieg ist derzeit ein Trendthema der historischen Forschung. Susan Bartons Buch «Internment in Switzerland during the First World War» ist ein typisches Beispiel für diesen Forschungszweig, der bis heute von Studien zu einzelnen Lagern oder Nationen dominiert wird.1 Bartons Pionierstudie widmet sich den insgesamt über 60’000 in der Schweiz ab 1916 internierten Kriegsgefangenen belgischer, französischer, britischer und deutscher Nationalität.2 Dabei handelte es sich hauptsächlich um verwundete Kriegsgefangene, die aufgrund von Abkommen zwischen der Schweiz und mehreren Kriegsparteien im ganzen Land, von den Walliser Alpen bis nach Davos, meist in Hotels und Sanatorien untergebracht wurden. Das Buch versteht sich als Gegenstück zu all jenen Studien zum Ersten Weltkrieg, die sich auf Leiden und Sterben konzentrieren, und möchte eine «positive» Dimension inmitten der allgegenwärtigen Gewalttätigkeit beleuchten. Von der Internierung profitierten zum einen die Kriegsgefangenen selbst, die so den oft prekären Bedingungen in den Gefangenenlagern der kriegführenden Mächte entkamen, andererseits aber auch die Schweiz, die ihren internationalen Ruf als humanitäre Nation unter Beweis stellte und gleichzeitig finanzielle Einbussen durch das kriegsbedingte Ausbleiben von Touristen teilweise wettmachen konnte.

Das Buch ist logisch aufgebaut: Nach einer kurzen Einführung beschreibt Barton die Verhandlungen zwischen der Schweiz und den kriegführenden Staaten bezüglich der Internierung ihrer vom Kriegsgegner gefangengenommenen Staatsangehörigen in der neutralen Alpenrepublik. Der Rest des Buches ist den Internierten selbst und ihrem Alltag gewidmet. Barton thematisiert ihren Empfang in der Schweiz, die Internierungsbedingungen, Arbeit und Weiterbildungsmöglichkeiten, Sport, Freizeit sowie Religion, bevor sie sich im Schlusskapitel ihrer Abreise widmet. Die Studie wird von mehreren Forschungsfragen geleitet wie zum Beispiel, inwiefern Internierung in einem neutralen Land sich von dem Aufenthalt in regulären Kriegsgefangenen- und Internierungslagern der kriegführenden Mächte unterschied, oder auch wie diese Internierungen die Schweiz beeinflussten.

Für Leser die mehr über den detaillierten Alltag der Internierten lernen möchten, ist dieses Buch eine wahre Fundgrube. Dank der vielen verwerteten Selbstzeugnisse, den von den Internierten herausgegebenen Zeitungen, zeitgenössischen Schweizer Zeitungen sowie offiziellen Quellen, hauptsächlich aus den britischen National Archives, kann Barton den Alltag eindrücklich beschreiben. Vermutlich aus sprachlichen Gründen konzentriert sie sich vor allem auf englischsprachige Zeugnisse. Interessant sind Verknüpfungen zu grösseren Themenkomplexen wie beispielsweise Ausführungen zur medizinischen Entwicklung während des Kriegs. Hier kann Barton aufzeigen, dass die schweizerischen Mediziner dank der Behandlung der internierten Kriegsverletzten Fortschritte erzielten und so den Anschluss an die internationale Medizin wahren konnten. Speziell hervorgehoben werden muss das Kapitel zu Familienleben und Verwandtenbesuchen. Das Thema findet in der gängigen Kriegsgefangenenliteratur kaum Beachtung, weil es den Angehörigen in der Regel nicht möglich war, die in Kriegsgefangenenlagern internierten Verwandten zu besuchen. Aufgrund ihrer Neutralität und geographischen Lage war dies in der Schweiz anders. Besuche von Verwandten wurden sogar aktiv gefördert, nicht zuletzt, um der Schweizer Tourismusbranche neue Einkommensquellen zu eröffnen. Viele faszinierende Fotos, zum Beispiel von Hochzeiten Internierter in der Schweiz, illustrieren die entsprechenden Ausführungen Bartons.

Das Buch weist auch Schwächen auf, so etwa die oft fehlende analytische Komponente. Barton erwähnt zwar interessante Aspekte mit viel Erklärungspotential, geht jedoch selten in die Tiefe. Allgemein scheut sie sich vor klaren Aussagen, präsentiert lediglich zeitgenössische Sichtweisen und lässt diese oft ohne historische Einordnung im leeren im Raum stehen. Auffallend ist auch, wie häufig die Autorin Begriffe und Aussagen ohne jegliche Kritik oder Kontextualisierung direkt aus den Quellen übernimmt. So wird erwähnt, dass Sikhs aus Britisch-Indien in der Schweiz interniert wurden. Dazu fehlt leider eine Untersuchung, wie diese die Schweiz sahen und vice versa, oder wie das Verhältnis zu den anderen Internierten war. Kommentare von Zeitgenossen, zum Beispiel zu den «weissen Zähne» der Sikhs, werden ohne Einordnung wiedergegeben. Teilweise ähneln die Kapitel einem Sammelsurium an kuriosen Fakten und Ereignissen. Das Buch bleibt folglich sehr deskriptiv und die wirklich wichtigen, übergreifenden Fragen bleiben unbeantwortet. So ist etwa unklar, inwiefern für die beteiligten Schweizer Eigeninteressen im Vordergrund standen, oder ob sie hauptsächlich aus humanitären Gründen handelten. her beiläufig erwähnt Barton etwa, dass Schweizer Ärzte, die in die Kriegsgefangenenlager entsendet wurden, um die «passenden» Internierten auszuwählen, nicht diejenigen aussuchten, welche die Erholung in der Schweiz am meisten benötigten, sondern diejenigen Gefangenen aus guten finanziellen Verhältnissen. Diese Praxis entsprang der Hoffnung, dass deren Familien dann mit den Internierten gemeinsam in der Schweiz leben und somit den hiesigen Tourismus unterstützen würden. Ob dies den Tatsachen entsprach oder ob es sich lediglich um Gerüchte handelte, wird nicht erläutert.

Schliesslich enthält das Buch diverse kleine Fehler und Unsauberkeiten. Barton schreibt zum Beispiel, dass Gustave Ador während des Kriegs Bundespräsident war (Kapitel 2). Ador wurde jedoch erst 1917 in den Bundesrat gewählt und übernahm das Amt des Bundespräsidenten erst 1919. Der Staatssekretär des deutschen Reichskolonialamts wird «Dolf» genannt, sein Name war aber Solf. Schweizerdeutsche Ortsnamen wie «Allmendhubel» werden auf derselben Seite einmal korrekt und einmal inkorrekt buchstabiert (Kapitel 6). Insgesamt ist Bartons Studie sehr lesbar, ein besseres Lektorat und mehr Kontextualisierung wären allerdings wünschenswert gewesen.

1 Für eine der einzigen Ausnahmen siehe: Matthew Stibbe, Civilian Internment during the FirstWorld War. A European and Global History, 1914–1920, London 2019.
2 Es hielten sich nie mehr als 30’000 Internierte gleichzeitig in der Schweiz auf, und unter den Internierten befanden sich nicht nur Angehörige der Streitkräfte, sondern auch Zivilisten. Siehe: Anja Huber, Fremdsein im Krieg. Die Schweiz als Ausgangs- und Zielort von Migration, 1914–1918, Zürich 2018, S. 208 f. Die zivilen Internierten werden von Barton allerdings nur am Rande erwähnt.

Zitierweise:
Cubito, Tamara: Rezension zu: Barton, Susan: Internment in Switzerland during the First World War, London 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (2), 2021, S. 381-382. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00088>.

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